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8609 Kilometer - Die Taschen voller Sonnenschein.

Die Taschen voller Sonnenschein.

Strahlende Menschen, Tempelblick, abgeschiedenes Dorfleben, eine grandiose Zeit.

Myanmar. Männer mit Röcken. Frauen mit Thanaka-Bemalung. Geschichte der Isolation. Rechtsverkehr. Uns bis dato unbekannte Hitzeausmaße. Nicht industrialisierte Landwirtschaft. Postsystem nur in großen Städten. Überall buddhistische Tempel. Gesellschaftlich akzeptierter Alkoholgenuss schon am Morgen. Betelnuss-Sucht. Viele Ethnien mit ausgeprägten Traditionen und fehlende Integration. Uns unverständliches lustiges Englisch. Geschmacksexplosionen durch feinste Früchte. Unterwanderung des Landes durch die Chinesen. Campen für Ausländer verboten. Aber sehr fein möglich. Große Teile des Landes mit unberührter Natur. Bemalte huttragende Damen auf Rollern. Gute Schulbildung für Kinder als Mönche in buddhistischen Klöstern. Zwei Drittel ohne Stromanschluss. Militär weiterhin mit viel Macht. Und Menschen, die aus tiefstem Herzen strahlen!

 

 

Erster Tag in Myanmar: "Tine, da haben mir gerade Menschen zu gewunken. Und sie haben gestrahlt. Aus freien Stücken. Und sie haben nicht nur die Hand gehoben, sie haben sie richtig geschwenkt!" Tommi strahlt über das ganze Gesicht und fährt pfeifend weiter. 

 

Wir überquerten die Grenze von Indien nach Myanmar und betraten eine andere Welt. Sie war wieder fröhlich und hilfsbereit. 

Aufgeregt zeigten wir am birmanischen Grenzposten unsere Pässe mit dem elektronischen Visum und hofften darauf, dass wir herein gelassen werden. Der wohl lustigste & entspannteste Grenzbeamte des Landes empfängt uns strahlend und alle Sorgen waren vergessen. Die Beamten fragten nach dem Instrument auf Tine´s Fahrrad. Kurz später standen sie da und klatschten & pfiffen fröhlich mit, während Tine unser Reiselied zum Besten gab.

Und so erlebten wir die Menschen hier im Land während unseres gesamten Aufenthalts zumeist als so neugierig, offen und wertschätzend. Lachen steckt bekanntlich an - und so lassen sich unsere Dorfdurchquerungen als wahre Epidemien beschreiben. Noch Kilometer danach waren wir am Strahlen. 

 

Unterwegs als Touristen.

Unser persönliches Weltkulturerbe.

Pagoden bis zum Horizont.
Pagoden bis zum Horizont.

Beispiellose Bauwut haben diverse Bauherren im 11. bis 13. Jahrhundert walten lassen. Und so stehen heute trotz Erdbeben und des Zerstörungseinmarschs der Mongolen noch um die 3000 Tempel in Bagan. Es handelt sich um ein riesiges Gebiet, indem überall kleine feine oder riesige pompöse Tempelanlagen aus dem Boden wachsen. Wir wurden nicht fertig mit entdecken, während wir freudestrahlend mit unserem Roller über die Sandpisten düsten und Staubwolken hinter uns herzogen.

 

Eine beispielhafte Geschichte zum Tempelbau in Bagan:

Ein König wollte in Bagan den schönsten Tempel zwischen den vielen anderen bauen. So ließ er viele Arbeiter kommen, die sein Wunderwerk errichten sollten. Sein Befehl war, dass sich jeder Stein lückenlos an den nächsten zu fügen hat. Deshalb kam er regelmäßig und prüfte die haargenaue Umsetzung seines Befehls mit einer Nadel. Wer nicht genau gearbeitet hatte, wurde mit seiner Grausamkeit bestraft.

Nach Fertigstellung des Tempels ließ er allen, die am Bau des Tempels beteiligt waren, die Hände abhacken, damit nie mehr so etwas Schönes errichtet werden könne. 

 

Kranke Welt! Gestern, wie heute, und mit ziemlicher Sicherheit auch Morgen.

Bagan hat uns nichtsdestotrotz oder vielleicht gerade wegen dieser Vergangenheit beeindruckt, wie bisher auf der Reise kein anderer Ort. Die Tempelanlagen aus Ziegelstein fangen eingerahmt von der rötlich gefärbten Erde atemberaubende Sonnenauf- und Untergänge ein und laden auch noch nach mehreren Tagen zum Staunen ein.

 

Schmäusse fürs Auge in Mandalay.

Zu Besuch waren wir auch auf der längsten Teakholz-Brücke auf Stelzen und bei der wunderschönen Hsinbyume-Pagoda auf der anderen Seite des Irrewaddy-Rivers, der Ader des Landes.

Kurzer Anriss: Freiheit nach Jahrzehnten der Isolation.

Die Geschichte Myanmars ist durchzogen von einer Aneinanderreihung von Konflikten, die das Land immer schwächte. Auch heute. Aufschlüsseln können wir diese Konflikte hier nicht alle.

Seit der Erlangung der Unabhängigkeit 1948 kämpfen Rebellengruppen ethnischer Minderheiten (es gibt im Vielvölkerstaat Myanmar mit rund 52 Millionen Einwohnern noch heute 135 verschiedene Ethnien) immer wieder für mehr Autonomie oder Unabhängigkeit.

 

Ansprechen wollen wir hier die Tatsache, dass sich Myanmar für ein halbes Jahrhundert wegen der Herrschaft des Militärs in der Isolation befand. Diese Militärdiktatur herrschte bis 2010 vor. Seitdem finden Demokratisierungsprozesse statt. In diesem Prozess leistet die birmanische Politikerin und Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi, die von den Einheimischen stolz als Leaderin präsentiert wird und international viel Aufsehen erregt, einen großen Beitrag.

In einer Dokumentation, die inzwischen nicht mehr abzurufen ist, schildert ein Birmane: "Die Diktatur hatte alle Möglichkeiten erstickt. Deshalb scheinen die Möglichkeiten jetzt grenzenlos zu sein!" Die internationalen Handelsblockaden sind aufgehoben, genauso die Zensur der Medien. Plötzlich wird über Missstände offiziell berichtet, Menschen diskutieren öffentlich, es gibt soziale Medien. Die Zeit des stillen Protestes ist vorbei. Menschen fordern ihre Rechte ein. Die Städte werden mit Globalisierungsprozessen überrollt.

Das Volk hat diese rasanten Veränderungen in kurzer Zeit zu verdauen.

Trotzdem hat das Militär weiterhin eine große Macht im Land, da es in der Regierung viele Schlüsselpositionen besetzt und Mandate zu eigen hat. In Ausnahmesituationen bleibt die Entscheidungsgewalt beim Militär.

 

Der Tourismus verzeichnet in den letzten Jahren einen großen Zuwachs. Die Investitionen von China auch. 

China ist der wichtigste Investor, der Land aufkauft, Bauern ohne Entschädigung enteignet, wegen des geringen Wertes menschlicher Arbeit viele menschenunwürdige Kleidungsproduktionsstätten aufbaut und Projekte der Stromgewinnung schafft.

Die Schere zwischen jahrhundertealter Tradition und Ursprünglichkeit gegenüber Moderne und rasanter Entwicklung ist gewaltig.

 

Im Herbst 2017 war die birmanische Region Rakhine, die wir durchradelt haben, wegen einem Thema in den Medien, das die machtvolle Präsenz des Militärs widerspiegelt:

Die muslimische und staatlich nicht anerkannte Ethnie der Rohingya, eine der am meisten verfolgten Minderheiten der Welt, wurde nach einem Anschlag gegen das Militär von ebendiesem mit einer groß angelegten Offensive gewaltsam vertrieben. In der Folge brannte das Militär Dörfer nieder, vergewaltigte Frauen und vertrieb die Ethnie systematisch in Richtung der Grenze zu Bangladesh. 

Die Rohingyas leben noch heute in Slam-ähnlichen Flüchtlingscamps in Bangladesh.

 

Von den politischen Fakten abseits des Rakhine-Staates haben wir persönlich nichts mitbekommen. Unsere Zeit in Myanmar war einzigartig, kulturreich und voll von herzlichen Menschen. 

 

Gesellschaftliche Taten und Untaten.

Baum im Gesicht.

Die weiche Rinde des Thanaka-Baumes nutzen vor allem Frauen und Kinder. In jedem Haushalt findet man einen runden Stein, den man mit Wasser benetzt und die Rinde darauf reibt, bis eine weißliche Paste entsteht, mit der sich alle schmücken. So trocknet die Haut nicht aus, schützt vor der Sonne und unterstützt das Schönheitsideal einer weißen Haut. 

Volksdroge Nummer 1.

Schon in Indien hat uns diese für uns abstoßende Sucht verfolgt.

Doch hier in Myanmar erreicht der Konsum den Höhepunkt und begleitet uns im ganzen Land:

Birmanen, die die stimulierende Betelnuss kauen.

Diese bildet im Mund einen roten Saft - daraufhin werden die Lippen dunkel, die Zähne schwarz, und danach die Straße rot gefärbt. Straßenstände, die wirklich überall zu finden sind und oft von Kindern betrieben werden, bieten in Blätter eingepackte Nüsse an - nach Wunsch mit Anis und Tabak -, die sich die Konsumenten dann unter die Lippe klemmen. Das Reden damit fällt den meisten schwer.


Die etwas andere Müllabfuhr

Müll liegt auch in Myanmar viel in der Weltgeschichte herum. Doch es hält sich in Grenzen und es gibt tatsächlich auch Mülltonnen. Als jedoch die Müllabfuhr mit dem Müllauto kam, schauten wir nicht schlecht:

Ein Müllauto.

Viele Frauen & Männer mit Hüten.

Und dann kippten sie die großen grünen Mülltonnen, wie man sie auch bei uns kennt, auf die Straße, fegen den Inhalt zusammen und werfen den Müll anschließend korbweise ins Müllauto.

Straßenbau Handmade

Das Militär subventioniert den Straßenbau. Aus diesem Grund führt sogar durch das kleinste & abgeschiedenste Dorf aus drei Bambushütten eine kleine einspurige super Teerstraße. So passierten wir viele Baustellen. Alles Handarbeit! Der Kies wird von Frauen wie Männern auf dem Kopf zur Baustelle transportiert. Der Teer wird in der aufgeschnittenen Tonne am Straßenrand mit offenem Feuer erhitzt.


Rollend quer durchs Land. Zurück im fröhlichen Abenteuer.

Stell Dir vor, Du sitzt in der Sauna.

Nun ziehe Dir Deine Kleider an. Und bleib sitzen.

Plötzlich wird die Sauna riesengroß. Setz Dich auf Dein Rad und fahr los. Die Sauna nimmt kein Ende. Die einzige Aussicht auf Abkühlung während des Ausritts: der Fahrtwind beim Radeln durch die Sauna mildert den Kampf gegen die Hitze, den Dein Körper in diesem Moment führt.

Welcome to our life in Myanmar! 

 

Es ist heiß hier, die heißeste Zeit des Jahres, was uns körperlich sehr forderte beim Radeln. Aber wir fanden einen guten Umgang und drum herum wurden wir so beschenkt von fröhlichen Menschen und unvergesslichen Radl-Strecken, das wir weiter strampelten. Und endlich hatten wir wieder die Möglichkeit richtig viel in unserem eigenen Zuhause zu übernachten - unserem Zelt.

Um der Hitze etwas aus dem Weg zu gehen und nicht mit dem Zelt entdeckt zu werden, standen wir täglich normalerweise gegen 4:45 Uhr mit Stirnlampen auf, um vor der Dämmerung unser Zelt abgebaut zu haben und in der Morgensonne zu radeln. Über den Mittag mit seinen 42 Grad machten wir ausgiebig Pause und vegetierten mit dem restlichen Volk bewegungslos dahin. Sobald sich der Himmel in wärmeres Abendlicht färbte, starteten wir wieder mit unseren Rädern, um in die Dunkelheit hineinzufahren. Im Dunkeln suchten wir einen Zeltplatz versteckt am Straßenrand.

 

Kleine Erlebnisse und Momente am Straßenrand kannst Du in unserem Tagebuch-Eintrag 8500 Kilometer - Momentaufnahmen über unsere Zeit in Myanmar lesen.

 

Besonders hat uns unsere Route durch den Rakhine-State gefallen, der Region im Süd-Westen, die sich an der Küste entlang bis nach Bangladesh zieht.

Hierbei handelt es sich um ein sehr wenig besiedeltes Gebiet, kaum wirtschaftlich erschlossen, mit sehr einfachen Dörfern und ohne Tourismus. Das ist die oben beschriebene Region, in der die Rohingyas vom Militär vertrieben wurden.

 

Nach langer Auseinandersetzung mit den Grenzbeamten von Rakhine - vielleicht wegen der lange bestehenden sowie aktuellen Konflikte - durften wir in die Region einradeln. Dass wir in den verbleibenden zwei Stunden bis Sonnenuntergang nicht den Gebirgszug überqueren und die etwa 100 Kilometer bis in die nächste erwähnenswerte Ortschaft mit lizensierter Unterkunft für Touristen zurücklegen würden, konnten sie nicht einschätzen. Zum Glück.

Im Rückblick haben wir uns auf der ganzen Reise noch nie in solch einer abgeschiedenen Region befunden.

Das ohnehin schon sehr ursprüngliche und ruhige Land wurde für uns nun noch ruhiger & einfacher. Wir folgten der einspurigen Straße über viele Hügel und durch noch mehr Kurven, vorbei an abbrennenden Feldern, Bambus und Reisanbau. Wir hatten mal wieder eine kleine Bergwelt für uns und somit schöne Zeltplätze. Wir hatten Platz für uns und dann wieder nette Menschen, die sich freuten uns zu sehen und umgekehrt. Das Einzige, was uns immer wieder bedrückte, war, wenn wir Soldaten begegneten und uns fragten, ob diese wohl an den Gewaltakten gegen die Rohingyas beteiligt waren...

Alles, was wir neben der schönen & heißen Landschaft zu sehen bekamen, waren ein paar Holz- oder Bambushütten ohne Strom und Wasser, hier und da ein Dorf mit einem Brunnen in der Mitte oder dem Dorftümpel als Badezimmer, ein paar Ochsenkarren, keine Autos und Kinder mit offen stehenden Mündern oder jauchzend hüpfend. Also so ziemlich genau das, was wir an einer Radlstrecke lieben. Wir hatten Freude am Radeln, Freude am draußen sein und Freude daran Menschen zu treffen. (Bei Steigungen meckern war trotzdem erlaubt!) Manchmal baten wir einen Pick-Up oder LKW darum uns einige Kilometer mitzunehmen, was jedes Mal lustig war.

Myanmar hat jegliche Hoffnungen übertroffen. 

 

Es war das erste Land, wo wir uns abseits der Städte wirklich schwer getan haben mit der Kommunikation. Unsere Zeichensprache funktionierte einfach nicht mehr so gut und führte zu vermehrten Missverständnissen. Essen damit zu imitieren, dass man mit Messer & Gabel isst, ist für Birmanen unverständlich, wurde uns irgendwann klar. Macht Sinn! Isst man hier doch mit Händen oder Stäbchen. Auch sonst scheinen die Menschen hier öfters auf anderen Wegen zu denken als wir das tun. Diese erschwerte Unterhaltungsführung wurde dann meist beiderseits durch viel Lachen beiseite geschoben. Zu Essen gibt es dann am Ende immer das, was auf den Tisch kommt. Ganz wie zu Hause bei Mama. 

 

Und am Ende sind wir tatsächlich am Meer angekommen! 

Palmen, unzählige Kokosnüsse für uns und leere Strände so weit das Auge reicht. Was eine wunderschöne Küste.

 

Wohnen wie die Könige. Dankeschön!
Wohnen wie die Könige. Dankeschön!

Nun befinden wir uns in Yangon, der mit über fünf Millionen Einwohnern größten Stadt des Landes. Nach unseren Eindrücken auf dem Land kommt uns die Moderne des Großstadtlebens, die uns hier auf den Straßen entgegen weht, auch nach einer Woche noch unwirklich vor. Weder die Erinnerungen an die ländlichen Gegenden fühlen sich real an, noch der aktuelle Zustand im pulsierenden Leben der Stadt.

Wir können kaum fassen, dass wir uns noch im selben Land befinden. Im ländlichen Raum ist uns das Land mit so viel Charme begegnet. Hier in Yangon fühlen wir uns wie in jeder anderen Stadt irgendwo auf der Welt. Auch wenn wir uns freuen, dass sich Myanmar langsam aus der Isolation löst, ist es wirklich traurig zu wissen, dass der Charakter des Landes so wie in allen Teilen der Welt nach und nach verschwinden und sich im globalisierten Einheitsbrei des Mainstream verlieren wird.

Danke Myanmar.

So geht es für uns weiter: AUF NACH THAILAND!