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6431 Kilometer - Plötzlich war die Schwanzflosse zum Greifen nah.

Tiger, Schlaglöcher und der alltägliche Wahnsinn.

In Nepal herrscht im Moment Winter.

Das bedeutet im Norden in den Bergen ist wirklich Winter. Im Süden, dem flachen Teil des Landes, wo wir durchradeln, sind die Nächte echt ordentlich frisch, die Tage perfekt zum Strampeln.

Für über 1000 Kilometer radeln wir den Highway Number 1 entlang (Beinahe die Hälfte haben wir schon hinter uns gebracht). Dabei handelt es sich eher um eine zweispurige dürftig asphaltierte grobkörnige Straße, die sich als zwischen bescheiden und beschissen befahrbar entpuppte. Was bedeutet: Wir treten wie die Ochsen.

In Nepal ist es aus mit der heißen Dusche. Eine heiße Dusche gibt es nur noch, wenn wir mit unserem Campingkocher heißes Wasser kochen und in unsere portable Duschsack-Dusche füllen, die dann im "Hotel"-Bad an der eigentlichen Dusche hängt.

Kleine Herausforderungen des Alltags sind zum Beispiel Klopapier kaufen. Denn außer uns scheint im Land niemand Toilettenpapier zu verwenden. Dementsprechend die Qualität. Wie schon in den vorherigen Ländern lernen wir die Stehtoiletten lieben. Da ist es halb so wild, wenn der hygienische Standard nicht ganz unseren Wünschen entspricht. 

Der Verkehr ist zum ersten Mal das, was uns im Vorhinein prophezeit wurde. Angsteinflößend und gefährlich! In jedem Land der Reise (sogar Indien!) waren wir bisher positiv überrascht und sind entspannt dahin geradelt. Doch Nepal ist eine neue Dimension und wir sind froh, wenn wir heil die Landesgrenze zurück nach Indien überrollen. Die Busse kennen keine Kompromisse und unsere Konzentration läuft beim Radeln auf Hochtouren.

Und dann sind da noch diese Farben in Nepal. Das Land strotzt nur so vor Farbenfreude! Nach unserer Zeit im Iran, wo vieles düster und voller Trauer schien, ist doch die Mehrzahl in schwarz gekleidet, hat uns Indien ja schon komplett mit seinen Farben überrollt. Auch hier in Nepal ist jeder Tag ein Augenschmaus. Die Menschen sind so unglaublich schön gekleidet! Mit ihrer dunkleren Haut, als unsere ist, kommen die Farben der Kleider so schön zur Geltung und wir können uns nicht satt sehen. Auch die Religionen und Feiern spiegeln so viel Freude wider: farbige Tempel, überall knallbunte Blumengirlanden, wehende Gebetsfahnen, schrill bunte Hochzeitsfeste am Straßenrand.

 

Das nepalesische Essen...

"Dal Bhat", die tägliche Mahlzeit für unsere hungrigen Mägen. (Hier statt Reis mit nicht beschreibbarem Kloßteig.)
"Dal Bhat", die tägliche Mahlzeit für unsere hungrigen Mägen. (Hier statt Reis mit nicht beschreibbarem Kloßteig.)

...macht uns ganz arg froh. 

Es ist herrlich fein hier und wir kommen nicht dazu selbst zu kochen. Wir könnten ja etwas verpassen!

Wir dürfen endlich mit den Händen essen. Und sind sehr dankbar darüber, dass die Nepalesen ordentlich frühstücken. Ein Glück für einen jeden Radreisenden! Ob Omelett, Linseneintopf oder eine ordentliche Reisportion - wir freuen uns auch schon kurz nach dem Aufstehen über eine deftige Mahlzeit.

Die übliche Mahlzeit in Nepal heißt "Dal Bhat" - ein eigentlich einfaches Alltagsgericht, dass für uns ein fein gerichteter Teller mit allerlei Leckereien darstellt. Eine ordentliche Portion Reis mit einer Schüssel voll Dal (Linsensuppe), frischem Gemüse, eingekochtem Gemüse der Saison und einem Gemüse-Curry (immer die Krönung!). Und das Beste daran: Man bekommt bei jeder Mahlzeit Nachschlag so viel man mag!

Auch ansonsten findet man an jeder Ecke gleich zehn Läden, die in ihren Garküchen gebratene Nudeln anbieten, Momos (eine Art gefüllte Maultaschen), Samosa (gefüllte Teigtaschen) und alle Arten der Ei-Zubereitung. Reis ist das absolute Grundnahrungsmittel. Daneben feiern wir das pfannkuchenförmige Brot "Roti" sehr.

Und zum Schluss nicht zu vergessen ist der "Chiya" (Milchtee). Milch und Wasser zu gleichen Teilen zum Kochen bringen und mit Gewürzen wie frischem Ingwer, Zimt, Nelke und Kardamom verfeinern. Je mehr Zucker, desto intensiver der Geschmack. Ein Gedicht und eine perfekte Abrundung der deftigen Mahlzeit.

Von der Vielfältigkeit einer einzigen Mahlzeit können wir uns echt noch eine Scheibe abschneiden!

 

Stupide geradeaus.

Wir betraten Nepal mit dem bisher entspanntesten Grenzübertritt der Reise, seit wir den Schengen-Raum verlassen haben. Die Immigration-Office, wo wir unser Visum beantragen mussten, hätten wir fast übersehen, war es einfach eines der vielen Bauernhäuser im Dorf und nur mit einem rostigen Schild angeschrieben.

Und ab dem Zeitpunkt radelten wir auf besagtem Highway Nr. 1  - und zwar immer nur geradeaus. Was stattdessen zu großer Spannung beitrug, waren die unzähligen mit vielen Soldaten bewachten Nationalparks, die wir zu durchqueren hatten. Spannend nicht wegen der heftig bewaffneten Officer, sondern wegen der wilden Tiere, die dort ihr Zuhause haben. Deshalb wurden wir mindestens jeden Kilometer mit einem Tiger- oder Elefantenwarnschild an diese Tatsache erinnert. Ihr könnt Euch nicht vorstellen, was ein Motor diese Schilder für uns waren! Einen Tiger haben wir nicht erblickt, auch wenn wenigstens eine in unserem Team sehr hektisch nach den Königen des Waldes Ausschau gehalten hat. Stattdessen wurden wir mit ganz anderen Anblicken von Schönheiten der Tierwelt beschenkt: Wir sahen eine große Rehkuh vor uns über die Straße galoppieren, entdeckten sehr bunte Vögel bei der Jagd nacheinander, beobachteten wilde Pfaue, gewitzte Affen mit schwarzen Gesichtern (Indische Languren) und im Fluss tatsächlich Krokodile in aller Seelenruhe. 

Anschließend folgte eine kleine "Passüberquerung", deren dschungelartige Natur uns eher an Ostasien erinnerte, und wir nicht in Nepal vermutet hätten. Dörfer mit Hütten aus Lehm mit Strohdach, überall kleine Anbetungsstätten, Lianen und allerlei verrückte Pflanzen.

 

Ansonsten war unsere Zeit auf dem Rad in Nepal nicht gerade von Highlights geprägt. Wir haben einige ungute Begegnungen gehabt mit Menschen, die uns aus eigenen Stücken in ihr Haus eingeladen haben. Daraus folgte leider, dass wir weniger einschätzen konnten, wer seine Freundlichkeit & Gastfreundschaft ernst meint. Die folgenden Wochen haben wir uns viel mehr als vorbeifahrende Touristen gefühlt und sind nur wenig in das Alltagsleben der Nepalesen eingetaucht. 

Doch die kleinen Freuden am Wegesrand haben wir uns nicht nehmen lassen. Und radelnd waren wir jeden Tag mit den vielen freudestrahlenden uniformierten schicken Schülern unterwegs, die auf dem Weg zur Schule oder zurück mit uns ein Schwätzchen hielten.

 

Chhaupadi. Zum Leben im Westen des Landes.

Oder "Wie Frauen im Westen Nepals einmal im Monat ausgestoßen werden und ihren Alltag verlieren."

 

Übernacht bei einer nepalesischen Familie sitzen wir in der Küche.

Die Großmutter zupft Grünzeug. Der Mann brät Eier an. Als wir die Frau zum Essen rufen wollen, hält uns der Mann davon ab und erklärt stolz: "Meine Frau hat ihre Tage. Sie darf für vier Tage ruhen, muss keine Haushaltsarbeit machen, isst im Schlafzimmer und schläft auf dem Boden. Sie betritt die Küche erst am fünften Tag wieder."

Wir waren verwirrt, nahmen diese Tatsache aber einfach mal hin.

 

Einige Tage später recherchierten wir zu dem Thema und stießen auf den Begriff Chhaupadi. Dabei handelt es sich um eine Praktik in der Hindu-Religion, bei der menstruierende Frauen von den Familienaktivitäten ausgeschlossen werden. Normalerweise müssen die Mädchen und Frauen in dieser Zeit in einem Kuhstall oder Verschlag in einiger Entfernung vom Haus der Familie verbringen. 

Der Ursprung davon ist, dass eine menstruierende Frau als unrein geachtet wird. Berührt sie einen Baum, wird er keine Früchte mehr tragen. Sollte sie Milch trinken, wird die Kuh daraufhin keine Milch mehr geben. Wenn sie den Mann berührt, wird er krank werden. Und um dem Unheil für die Familie aus dem Weg zu gehen, werden die Frauen an einen anderen Ort abgeschoben.

 

Ein großes Problem an dieser Praktik ist, dass es die Frauen und deren Kinder in dieser Zeit großen gesundheitlichen Risiken unterworfen sind. Sie infizieren sich in den Ställen beispielsweise durch Fliegen, bekommen Infektionen, sind großer Kälte ausgesetzt, leben in unglaublich unhygienischer Umgebung. Darüber hinaus werden Mädchen und Frauen in dieser Zeit oft von Männern vergewaltigt, da sich diese in einer Hütte weit weg vom Haus befinden und Schreie nicht gehört werden. In den Medien liest man immer wieder von Todesopfern, die in den Hütten verbrannten, weil sie sich zum Wärmen Feuer machten. 

Oft haben die Mädchen und Frauen Angst. Teilweise finden auch die Väter und Ehemänner nicht gut, dieser hinduistischen Konvention weiter zu folgen, doch der soziale Druck im Dorf ist meist so groß, dass die Familien zu dieser Praktik zurückkehren.

Schamane und Heiler geben in Reportagen zielsicher wieder, dass das so sein muss, weil sonst Unglück über die Familie kommt. Die Götter wollen das so! 

 

Uns hat diese hinduistische Handhabung schwer schockiert. Wir finden es freiheitsberaubend und menschenverachtend.

Zum Glück gibt es immer mehr Initiativen und Jugendgruppen, die sich diesem Thema annehmen und Aufklärungsarbeit leisten. Die große Hoffnung unter den Nachwachsenden ist, dass sich die sozialen Konventionen etwas lockern, wenn die alte Generation ausgestorben ist.

 

In der Familie, in der wir Chhaupadi miterlebt haben, ist diese Handhabung bereits in ein abgeschwächtes Ausstoßen der Frau weiterentwickelt worden. Wir hoffen sehr, dass dieser Fortschritt auch weiter in die Bergwelt wandert...

 

Wer mehr darüber erfahren will, kann hier eine Kurz-Dokumentation auf Englisch ansehen.

 

Zu Fuß mit Blick zum Dach der Welt.

...Und dann sind wir dahin gefahren, wo unsere Sehnsucht uns hingetrieben hat: Zu den großen Majestäten - in die Bergwelt Nepals!

 

Unsere Stahlochsen werden im Flachland von einem Hotel gesittet und wir haben uns auf die für uns schlimmste Busfahrt unseres Lebens begeben. Warum sollte ich als Busfahrer auf einer engen Bergstraße auch nicht den LKW vor mir überholen, wenn in 50 Metern eine Kurve um einen Felsen herum kommt, wo man nicht sehen kann, ob dahinter etwas entgegen gefahren kommt? Selbst der sonst seelenruhige Tommi machte auf dieser achtstündigen Fahrt kaum ein Auge zu und folgte dem rasanten Fahrstil mit schockiertem aufmerksamem Blick. Überholt hat uns auf dieser Fahrt niemand.

 

Doch wir kamen heil in Pokhara, der zweitgrößten Stadt Nepals, an. Eine Reizüberflutung an Westlichkeit, Tourismus und schicken Restaurants & Cafés direkt am Phewa-See, von wo viele Trekkingtouren im Himalaya-Gebiet starten.

Auch wir haben es so gemacht! Rücksäcke leihen, Permit für die Wanderregion organisieren, mit Riegeln ausstatten und auf in die Berge!

Dass dort Bananenbäume im Schnee des Himalayas wachsen würden, konnte ja niemand ahnen.

  

Touristenmassen auf dem Weg nach Oben

Teilweise kamen wir uns beim Wandern eher wie in China vor, so viele von diesen Chinesen waren unterwegs...

Wir waren in der Nebensaison in der Annapurna-Region. Und das war gut so. Denn das Wandern in einer so touristischen Form mitzuerleben, war für uns doch sehr ungewohnt. Wir haben viele nette Menschen kennengelernt - mit Guide oder ohne, alleine oder in Grüppchen - aber uns alle verband die Freude in den Bergen unterwegs zu sein. Und somit waren auch wir alle Teil des großen Booms. 

Doch bei vielen anderen hatte das Wandern aus unserer Perspektive nur noch wenig mit Naturerleben zu tun. Oft schien nicht mehr der Weg das Ziel. Eine Tour war nur erfolgreich, wenn das Ziel, der Gipfel oder das Camp erreicht wurde. Das setzt gebuchte Touren gewaltig unter Druck! Wir trafen Horden an knallhart durchgetakteten geführten Touren - die meisten bewaffnet bis unter die Zähne (was ihr Material angeht), teilweise unwissend. Und zugleich fanden wir über Tage keinen Guide, der sich über das Wetter informiert hatte. Und das im Winter am Berg! Auch am Tag von heftigen Regen- und in der Höhe Schneeschauern, machten sich Guides mit ihrer Gruppe in lawinengefährdete Regionen auf und wurden dort eingeschneit. Denn den Touristen in seinen Wünschen zu bedienen, scheint oft der Sicherheit vorzugehen. Kam man nicht am Gipfel an, war die gebuchte Reise-Organisation schlecht! Am nächsten Tag flogen die Hubschrauber wie am Taxistand von Delhi, um festsitzende und Höhenkrankheit-gefährdete Touristen in Sicherheit zu bringen. Zu oft ist es so, dass der Mensch der Gefahr erst Auge in Auge gegenüberstehen muss, um diese zu begreifen.

Porter trugen unmenschliche Massen an Gepäck für andere Wanderer, die leichtfüßig mit Täschchen hinterher schnauften. Prinzipiell spricht auch nichts dagegen, Einheimische der Bergregionen für den Gepäcktransport zu bezahlen. Dann aber in menschenwürdigen Verhältnissen, so wie es durchaus einige Wanderer gemacht haben.

Alle Hütten bieten chinesische & koreanische Menus sowie WiFi an, weil sie sonst gegen die Konkurrenz nicht bestehen können. Das führte zu teils seltsam trostlosen Hüttenabenden um den Ofen. Hüttenfeeling fühlt sich anders an. 

Und ein knallharter Fakt: Die deutsche Botschaft in Kathmandu hat eigens einen Kühlraum eingerichtet, um die vielen Todesopfer am Berg vorübergehend verwahren zu können.

 

Die Berge haben für den Menschen eine große Anziehungskraft.

Doch die Berge bleiben die Berge, bleiben gewaltig & mächtig und wir Menschen verlieren hoffentlich niemals völlig die Ehrfurcht vor ihnen und vor der Naturgewalt, die dahinter steckt.

 

...Aber zurück zu unserer Tour.

Für acht Tage waren wir unterwegs und es war eine wunderherrliche Zeit - fernab von Gehupe und dem Anblick von Asphalt.

Wir wanderten wie die Großen. Mal schlitternd auf Eis, mit Tieren, über Hängebrücken, durch Schnee und Matsch, zu heißen Quellen, aber vor allem über 1000e Stufen. Die Nächte waren bitter kalt auf 3000 Meter Höhe. Wir genossen den Luxus so, den der Tourismus in der Region mit sich gebracht hat: wir fanden überall ein Bett für die Nacht und wurden mit dampfendem Essen versorgt. Wir sahen majestätischste Berge in einer Größe wie nie zuvor. 7000er so weit das Auge reicht. Der Machhapuchhare (übersetzt Fischschwanz) mit 6997 Metern begleitete uns während der ganzen Tour. Ein gewaltiger wunderschöner Berg!

Schließlich mussten wir unsere Tour aber vorzeitig abbrechen, weil ein Wintereinbruch in den Höhen die Wege verschneit hat und uns die Gefahr von Lawinen einfach zu groß war. Aber das machte gar nichts! Die Tour war super.

 

 

Die Schneemassen in den Bergen halten an - Nepalesen schildern uns täglich, dass der viele Schnee echt ungewohnt ist, sogar im Februar. 

 

Nun sehen wir mal, wie es weiter geht...

Entweder die Berge rufen in einigen Tagen, wenn das Schneetreiben ein wenig zurückliegt, erneut.

Oder eben doch der Highway Number 1.